Text: Tobias Dinkelborg

Die Jagd ist eröffnet
Es begann an einem sonnigen Samstag nahe der niederländischen Grenze. In einer Zeit, da die Corona-Pandemie besiegt schien. Zum Sai-sonauftakt war die Zwote ins beschauliche Straelen gereist. Niemand ahnte damals, wie unvergesslich jeder Tag, jede Woche, jedes Spiel werden würde – alles, was da noch kommt.
Moritz Montag erzielte den Premierentreffer, Torwart Dennis Gorka überragte in seiner ersten Regionalliga-Partie. Letztlich gelang dem Aufsteiger dennoch der Ausgleich. Im Wald hinter dem Straelener Stadion schoss ein Jäger fleißig umher, er hatte wohl einen besseren Tag als die Angriffsreihen beider Mannschaften. Mit dem 1:1 konnte die Zwote gleichwohl gut leben, weil die Vorbereitung alles andere als optimal gelaufen war.
Anschließend spielte sich das Team von Trainer Nico Michaty in einen Rausch. Auf einen 4:0-Sieg gegen Homberg folgte ein 3:0-Erfolg beim Wuppertaler SV – und kurz darauf ein 6:0-Kantersieg gegen Lotte. Der Saisonstart war geglückt. Und wie! Rein sportlich drückte sogar die erste Niederlage in Essen nicht aufs Gemüt, weil RWE vor 5000 Zuschauern verdient mit 2:0 gewonnen hatte. Ein fader Beigeschmack blieb aber: Oliver Fink fiel aus kuriosem Grund aus, sein Name fehlte auf der Spielberechtigungsliste.

Geisterspiele, Siege und Bier
Von der Schlappe in Essen ließ sich die Zwote nicht aus der Spur bringen. Sie beeindruckte die gesamte Liga, gewann in Bonn und fegte Rot Weiss Ahlen mit 4:1 vom Platz. Doch plötzlich drohte die Saisonunterbrechung, weil die Corona-Zahlen stark gestiegen waren. Lange ließ die Entwarnung aber nicht auf sich warten. Das Land Nordrhein-Westfalen stufte die Regionalliga als Profiliga ein, sie durfte weiterspielen. Unter einer Bedingung: ohne Zuschauer. Regelmäßige Corona-Tests führte der Westdeutsche Fußballverband erst später ein.
Die Zwote befand sich immer noch in ihrem Rausch. Unter der Woche holte sie ein 3:1 in Lippstadt, spielte wenige Tage später 0:0 gegen den FC Wegberg-Beeck – Fink fehlte damals, weil ihn Uwe Rösler in den Profikader berufen und mit nach Nürnberg genommen hatte – und zeigte beim 3:2 gegen Fortuna Köln eine ihrer besten Leistungen überhaupt. Die Mannschaft begeisterte den ganzen Verein.
Dass in den letzten zwei Monaten des vergangenen Jahres vier Niederlagen hinzukamen, trübte das Bild keineswegs. Das 1:2 in Münster war ärgerlich, weil der ehemalige Drittligist mindestens einen Treffer aus einer Abseitsposition heraus erzielt und Kevin Hagemann zwei hundertprozentige Chancen ausgelassen hatte. Nur beim 2:3 in Rödinghausen ließ die Zwote erstmals ein wenig zu wünschen übrig.
Dafür erkämpfte sie sich unter Flutlicht im Paul-Janes-Stadion ein 2:0 gegen Alemannia Aachen, schickte den SV Bergisch Gladbach mit 5:2 nach Hause und holte bei der U23 von Borussia Dortmund – dem späteren Meister – ein 1:1. Es war das Ende einer fantastischen Hinrunde. NLZ-Chef Frank Schaefer hielt in der Kabine auf dem BVB-Trainingsgelände in Dortmund-Brackel anschließend voller Stolz seine Ansprache. Vor der Rückfahrt fand eine Kiste Bier ihren Weg in den Mannschaftsbus. Jeder einzelne hatte sie sich verdient.

Erst der Rüffel, dann das Saisonhighlight
Das neue Jahr begann mit einem Rüffel von ganz oben. Die Zwote hatte ein Testspiel gegen Bergisch Gladbach absolviert und mit 4:2 gewonnen. Trotzdem war Trainer Michaty stinksauer, das kommt eigentlich selten vor. „Wir waren streckenweise unkonzentriert, fahrig und inkonsequent“, sagte er damals: „Die Chancenverwertung war heute sehr schlecht. Wir hatten zahlreiche Möglichkeiten, ermöglichen dem Gegner dann aber durch leichte Ballverluste zwei einfache Tore.“
Ein Weckruf zur richtigen Zeit? Vielleicht. Allerdings fruchtete er nicht. Die Zwote startete mit zwei Niederlagen in die Rückrunde: gegen Straelen und in Homberg. Sie taumelte, fiel aber nicht. Stattdessen startete die Michaty-Truppe mit dem 2:0 auf dem Aachener Tivoli einen neuen Lauf und holte 14 Punkte aus sechs Spielen.
In diese Zeit fiel auch das absolute Saisonhighlight: der 3:0-Sieg gegen Rot-Weiss Essen, den bis dahin ungeschlagenen Tabellenführer. Flutlichtspiel, Flinger Broich: Zum perfekten Abend fehlten nur die Fans. Es war der Gipfel, die Krönung des gesamten Jahres. Die Zwote kämpfte leidenschaftlich, verteidigte überragend und traf kaltschnäuzig.

Die Rückkehr der Fans
Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Das letzte Saisonviertel begann mit einer 14-tägigen Quarantäne und lief auch sonst kaum nach Plan. Drei gute Spiele machte die Zwote nur noch: beim 4:2 gegen Wuppertal, gegen Münster (trotz der 2:4-Niederlage) und beim 1:1 gegen Rödinghausen. Vor allem letztere Partie war herzerwärmend. Nach mehr als einem halben Jahr durften wieder 500 Fans ins Stadion.
NLZ-Chef Schaefer zog in einem Interview nach dem Saisonende folgendes Fazit: „Über weite Strecken war die Saison überragend. Die Jungs haben als Gruppe zu einhundert Prozent funktioniert. In den ersten beiden Dritteln haben wir konstant guten Fußball gespielt und waren extrem stabil. Wir haben vielen Leuten sehr große Freude bereitet – in einer Zeit, als der Ball größtenteils geruht hat – und den Verein top repräsentiert.“
Er legte den Finger aber auch in die Wunde: „Wir hatten am Ende große personelle Verluste, die an die Substanz gegangen sind. Lex-Tyger Lobinger und Boris Tomiak waren genau in diesem letzten Drittel nicht mehr bei der Mannschaft. Hinzu kam, dass uns mit Oliver Fink in der Endphase auch noch unser Leader gefehlt hat. Diese drei Ausfälle steckt kein Team einfach so weg. Fakt ist aber auch, dass einige Spieler in unserer Wahrnehmung – und das habe ich ihnen auch gesagt – zu viel mit sich selbst beschäftigt waren.“

Was bleibt?
Das mäßige Saisonende gehört zur Wahrheit dazu, es dominiert die Spielzeit aber nicht. Deshalb bleibt trotz allem die Erinnerung an ein unbeschreibliches Jahr. Ein Jahr – getrübt von der Corona-Pandemie –, das sich so schnell wahrscheinlich nicht wiederholen wird. Ein Jahr, in dem die Zwote sich aus dem Schatten der Profis gespielt hat. Ein Jahr, in dem alle Beteiligten schlicht hervorragende Arbeit geleistet haben. Ein Jahr, das niemand vergessen wird.